Drameninterpretation
„Kabale und Liebe“ 1. Akt, 4. Szene
„Kabale und Liebe“ 1. Akt, 4. Szene
Liebe ist unumstritten eines der stärksten und schönsten Gefühle, doch es kann ebenso ein enorm scharf geschmiedetes, zweischneidiges Schwert sein. Sollte nämlich der allumfassenden Liebe etwas im Weg stehen, das sie behindert, gefährdet oder sogar zur Verdrängung zwingt, so trägt es unbeschreiblichen Schmerz mit sich, den man sich nur vorstellen kann, wenn man ihn selbst erlebt. Da das bürgerliche Trauerspiel in der Epoche des Sturm und Drang dazu benutzt wurde den Menschen die Vernunft und das Gefühl zu erziehen, indem sie Mitleid mit dem Helden in der Geschichte empfinden sollen, wird genau dies zur Thematik in dem wohl für diese Epoche wichtigsten Drama „Kabale und Liebe“. Hierbei wird die hoffnungslose Liebe zweier Personen geschildert, die durch die Gesellschaft zu schwerwiegenden Entscheidungen gezwungen werden und am Ende großes Leid erfahren. Der vorliegenden vierten Szene des ersten Aktes aus dem Drama „Kabale und Liebe“, verfasst von Friedrich Schiller, gehen drei Szenen voraus, bei der besonders die Exposition eine wichtige Rolle spielt. Hierbei wird die folgende Situation geschildert. Die Handlung spielt in einer deutschen Residenzstadt Ende des 18. Jahrhunderts. Ferdinand, Adliger und Sohn des Präsidenten liebt die bürgerliche Luise, Tochter des Musikus Miller und sie liebt ihn ebenfalls. Jedoch schenkt man ihnen keinen Segen, denn der Vater Luises ist alles andere als angetan von dieser Beziehung, dies äußert er direkt in der vorherigen Szene in einem Gespräch mit Luise. Er ist sich dem Ständeunterschied und der dadurch resultierenden Unmöglichkeit deren Liebe vollkommen bewusst und zweifelt zudem an der Aufrichtigkeit Ferdinands. Miller ist nicht gewillt seine Tochter Ferdinand zu überlassen, da er davon ausgeht sie wäre nur eine weitere Mätresse des Majors und dafür liebt er Luise zu sehr, als dass er dies würde zulassen können. So ist er fest entschlossen die Liaison seiner Tochter mit dem Major schnellstmöglich zu beenden. Ihre Mutter hingegen möchte durch die Eheschließung beider mehr Ansehen erlangen und verteidigt somit deren Beziehung. In der zweiten Szene des ersten Aktes wird der Sekretär des Präsidenten, Wurm, vorgestellt. Dieser äußert sein Interesse an Luise und betrachtet sich als ihr künftiger Bräutigam doch beide Elternteile hegen Zweifel, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, denn der Mutter schwebt eine Heirat in weit besserem Stande für Luise vor und der Vater verschweigt seine Gründe. Jedoch erfährt in dieser Szene Wurm von dem Verhältnis Luises mit Ferdinand, woraus sich, da er der Sekretär des Herzogs ist, ergeben könnte, dass dieser, nämlich Ferdinands Vater, auch davon erfährt. In der darauffolgenden Szene betritt Luise das Geschehen und redet mit ihrem Vater über ihre Liebe, vollkommen überwältigt und glücklich anfangs beginnt sie im Laufe des Gesprächs zu zweifeln und verbleibt nach der Szene mitgenommen und nachdenklich aufgrund der Gewissheit, die sie durch das Gespräch mit ihrem Vater erlangt hat. Sie ist vollkommen unentschlossen, denn was soll sie tun? Soll sie ihr bisheriges Leben, die Verbundenheit mit ihrem Vater und die bürgerliche Moral vollkommen außer Acht lassen um ihrem Herzen zu folgen? Oder soll sie, um dem inneren und äußeren Konflikten aus dem Weg zu gehen, ihrer Liebe entsagen?
Ferdinand der voller Übermut, beflügelt von der Liebe, zu seiner Geliebten eilt, findet sie zerstreut auf. Denn Luise, vorher ebenso ergriffen von ihren Gefühlen zu Ferdinand, wurde durch das Gespräch mit ihrem Vater etwas bewusst, dass sie in ihrem Inneren schon gewusst oder zumindest geahnt hatte. Ihr ist zu diesem Zeitpunkt bereits gewiss, das für Ferdinand und seine keine gemeinsame Zukunft vorgesehen möglich ist, doch es fällt ihr schwer eine konsequente Entscheidung zu treffen. Aus diesem Grund ist sie sehr verwirrt und uneins mit sich und ihren Gefühlen. Zu Beginn der Szene stürmt also Ferdinand, von Leidenschaft getrieben, auf Luise zu, welche matt vor ihm steht und sich zunächst auf einen Sessel setzt. Sie ist seelisch und körperlich deutlich mitgenommen von der Auseinandersetzung wenige Augenblicke zuvor. Entgegen Ferdinands schwärmerischer Wucht steht also Luises Irritation. Als sie ihn jedoch wahrnimmt „fällt [sie] ihm um den Hals“ (Z.5) und verdrängt ihren Kummer. Ferdinand erwidert mit impulsiven Ton, dass er nur gekommen sei um sie fröhlich aufzufinden, denn er stellt fest, dass sie etwas plagt. Zunächst negiert sie ihren Kummer und möchte weder sich noch Ferdinand damit belasten, doch Ferdinand drängt auf eine Antwort. Er ist stürmischer und impulsiver Natur, sogar in bedrängender Weise und repräsentiert mit dieser absoluten Liebe ganz und gar die Epoche des Sturm und Drang. In ihm finden sich dich für diese Zeit prägenden Merkmale in seiner Sprechweise, seinem Auftreten und seinen Charaktereigenschaften. Auf sein Drängen, gibt Luise nach, wenn auch zunächst zögerlich, doch dann nennt sie wehmütig den Kern ihres Kummers, den Standesunterschied zwischen den beiden und dessen Gefahr für die beiden, forciert durch den gesellschaftlichen Status Quo. Daraufhin ist Ferdinand verwirrt und reagiert emotional. Er kann nicht verstehen, wie seine Geliebte auf solche Gedanken kommen kann, da in seiner, zum Teil egozentrischen Liebesauffassung, nichts als die Liebe der beiden zählt. Er ist vollkommen eingenommen von seiner Art zu lieben und geht davon aus Luise müsse es ebenso praktizieren. Sie soll ebenso wie er in der Liebe aufgehen und nichts mehr zum Leben brauchen als dies. Desweiteren macht er ihr sogar Vorwürfe, dass sie die Zeit besser für ihn nutzen solle, als an solche Probleme zu denken. Ferdinand liebt auf eine totalitäre, allumfassende und exzentrische Art und Weise. Doch Luise lässt sich so einfach nicht beruhigen, denn sie spürt die Gefahr , spürt dass die Dissonanzen zwischen ihrem Stand, ihrer Familie und seinem Stand, seinem Vater , schwerwiegender sind als Ferdinand sie darstellt. Sie wirft ihm vor sie nur betören zu wollen und blockt ab. In dem Moment stellt sie sich wohl zum ersten Mal die Zukunft vor und beginnt einen Denkprozess, sichtbar an den vielen Parenthesen, die Luises nachdenkliche, zögerliche und zurückhaltend vernünftige Art aufzeigen. Als sie in diesem Prozess scheinbar zu einem Ergebnis kam, erschreckt sie sich. Denn sie erkennt all die Probleme die Ferdinand nicht sehen will. Sie sieht die Gefahr direkt vor sich, weiß, dass das gesellschaftliche Umfeld versuchen wird sie voneinander zu trennen. Als er Luise von Trennung sprechen hört, wirft ihn das vollkommen aus der Bahn, er springt auf und reagiert aufgeregt auf ihre „Ahn[...]ung“ (Z.31) und fragt, wer denn imstande sei das Verhältnis beider zu gefährden. Durch seine gehäuften rhetorischen Fragen wird deutlich, dass er sich seiner Sache vollkommen sicher ist. Ferdinand sieht keine Gefahren zwischen ihr und ihm, zumindest keine, die er, als der Major, nicht aus dem Weg räumen könnte. Es gibt nichts, dass seine Liebe würde gefährden können. Dabei geht er sogar so weit, dass er ihr beteuert sie mit allen Mitteln zu beschützen, denkt wirklich, dass er dazu fähig wäre. Es folgen eine Reihe wildester Versprechungen mithilfe von ausdrucksstarken Bildern. Er will sich zwischen sie „und das Schicksal werfen – empfangen für [sie] jede Wunde“(Z.45). Dadurch sollte sie so frei von Schwierigkeiten sein, dass sie „durchs Leben hüpfen“ (Z.48) könne. Hier wird sichtbar, dass Ferdinands Leichtigkeit schon an Naivität grenzt, denn seine Sprechweise mit den zahlreichen sprachlichen Bildern und den längeren Sprechanteilen lässt durchblicken wie unbeschwert er lebt und wie wenig Bedeutung er der gesamten Problematik beimisst. Dabei zeigen die große Anzahl an Metaphern, wie „Die Stürme des widrigen Schicksals“(Z.41) den Übermut Ferdinands. Außerdem merkt man hier deutlich, dass Ferdinand, im Gegensatz zu Luise, das Gespräch mit seinem Vater noch vor sich hat. Doch Luise lässt sich davon nicht in ihrem Kummer zügeln und die nonverbalen Angaben zeigen eine abweisende Geste, „in großer Bewegung“ (Z.51). Den Gesten Luises möchte ich an dieser Stelle eine weiterführende Bedeutung zuschreiben, da über den Verlauf des Gesprächs hinweg sie sich immer weiter von ihm entfernt hatte. Zuerst fiel sie ihm um den Hals, fasste dann nur noch seine Hand, ließ sie los und drückt ihn zu allerletzt von sich. Dies symbolisiert wie sie sich auch von ihren Gefühlen her immer weiter entfernten während dieser Auseinandersetzung. An dieser Stelle wird ihr bewusst wie leicht sie doch wieder schwach werden kann. Sie hat jetzt eindeutig genug gehört, denn sie spürt wie die sanften Hoffnungen Ferdinands ihr die klare Entscheidung, die sie zu treffen hat und die Qual, die dabei auf dem Spiel steht noch umso schwieriger und ebenso schmerzhafter macht. Sie ist aufgewühlt und äußert ihre Zerrissenheit in unvollständigen Sätzen und Interjektion. Daraufhin versucht sie zu gehen, denn sie braucht nun Zeit und Raum für sich selbst, ohne die schlichtenden Reden ihres Geliebten. Doch dieser hält sie fest um ihre Sorge weiter zu ergründen und ihr diese zu nehmen. Luise erwidert, sie hätte all „diese Träume vergessen und war glücklich“ (Z.55), doch nun, da Ferdinand ihr endgültig seine Liebe gestanden und ihr somit die Entscheidung nach ihrem Herzen oder ihrer anerzogenen, stark ausgeprägten Vernunft noch schwerer machte, sei „der Friede [ihres] Lebens […] aus.“ (Z.56). Kurz bevor sie das Geschehen verlässt und Ferdinand allein zurück lässt, gesteht auch sie ihm ihre Gefühle zu ihm, versichert ihm, dass die Sehnsucht nach ihm, in ihr für immer bestehen bleiben wird auch, wenn sich beider Wege trennen sollten. Dann entreißt sie sich ihm und stürzt erregt hinaus. Nun ist der Ausgang der Situation unklar, denn es konnte keine Argumentation zwischen beiden stattfinden, Luise äußerte nur ihre Unentschlossenheit und ihre Ängste und Ferdinand plädierte das gesamte Gespräch über auf die Kraft seiner Liebe. Luise hat sich nun scheinbar von Ferdinand getrennt und er wurde sprachlos, ohne es zu verstehen, zurückgelassen.
Abschließend ist also festzustellen, dass zumal beide von der allumfassenden Liebe ergriffen sind, sie doch unterschiedliche Art und Weisen zu lieben praktizieren, die ihnen nämlich zur zweiten Gefahr werden. Desweiteren ist Luise durch ihren Stand, ihrem dominanten Vater mit seinen klaren Zukunftsplänen für sie und den strikten Moralvorstellungen zu mehr Realitätssinn, als Ferdinand ihn besitzt, gezwungen. Letztendlich finden sich typische Merkmale des Sturm und Drang in diesem Drama an jeder Stelle, ob in Ferdinands Charakter und seinem Auftreten oder in Luises Irritation, denn diese Versinnbildlicht ein weiteres Motto. Dieses Symbol beinhaltet den Fakt, dass, wer in seinem Leben sein Herz als tragende Leitkraft akzeptiert, der muss zwangsläufig mit der Gesellschaft in Konflikt geraten. Schlussendlich kann also die stärkste Liebe zum Scheitern verurteilt werden und das nur durch die Meinung anderer Menschen oder zu großen charakterlichen Unterschieden und kann dadurch zu großer Trauer, Missverständnissen oder sogar dem Tod führen.
Wörter: 1700
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Max Kiefner