Vergleichende Interpretation
Eichendorff – Brecht
Jedes Jahr werden die Natur und alle Lebewesen auf der Erde auf ein Neues von einem Zauber ergriffen. Die Blumen recken ihre Köpfe aus dem Schnee und die Natur erwacht aus ihrem Winterschlaf, alles erstrahlt in einem neuem Glanz. Wie wundervoll die Welt doch ist, wenn man auf einer, vom Tau noch feuchten, Wiese liegt und die ersten Vögel ihre Rückkehr mit sanften Tönen ankündigen. Selbst der Mensch bleibt von diesem Treiben nicht unberührt. Wie neugeboren entdeckt er die Schönheit der Natur wieder und lässt seine Seele für einen kurzen Moment baumeln. Die Schönheit des Frühlings und dessen Wirkung auf die Menschen werden von Joseph von Eichendorff und Bertolt Brecht in ihren Gedichten mit unterschiedlichen Ansichtsweisen geschildert.
Dem Gedicht von Joseph von Eichendorff wurde kein Titel zugewiesen, was schon bei erster Betrachtung keinen Bezug zum Inhalt des Gedichtes preisgibt. Die erste Zeile dient hierbei meist zur Bestimmung des Gedichtes. Bestehend aus drei Strophen mit jeweils vier Versen ist dieses Gedicht eindeutig als Lied klassifizierbar, die Gedichtform lässt auf die Zeit der Romantik zurückschließen. Gebunden ist der Text durch einen umarmenden Reim, darauf folgt ein Kreuzreim und schließlich wieder ein umarmender Reim. Außerdem wird ein vierhebiger Trochäus, Präsens und vorwiegend Zeilenstil verwendet. Eichendorff bedient sich hier einer einfachen Syntax mit einfachen Sätzen und parataktischen Satzkonstruktionen und einer bildhaften prosanahen Sprache.
Das lyrische Ich tritt direkt auf und befindet sich in der Natur an einem wundervollen Frühlingstag.
Eines der ersten Zeichen, welches uns den Frühling ankündigt, sind die Vögel, die aus dem warmen Süden wieder zu uns zurückkehren und genauso leiten in diesem Gedicht die „Vöglein“ (V.1), an dieser Stelle wird ein Dimutiv benutzt, um die spärlichen, zierlichen Vögel bildhaft darzustellen, das Gedicht ein. Als Folgeerscheinung auf die Vögel dienen die „sonn'gen Tage[...]“(V.1), denn das ist für gewöhnlich das Zweite, was auffällt, wenn sich der Frühling nähert. Jetzt wo klar geworden ist, dass sich die nächste Jahreszeit einstellt, weicht das Verlangen, oder die Appetenz nach dem Jahreszeitenwechsel einer enorm starken Freude und somit ist das lyrische Ich dem Frühling vollkommen verfangen. Daraufhin gibt er sich der Natur preis und lässt sich von den blauen „Lüfte[n]“ „verführen“(V.2), wobei zuerst die Verwendung der Farbe auffällt, den das Blau war in der Romantik ein Symbol für die Sehnsucht und auch nach der heutigen Farbenpyschologie wird der Farbe Blau eine gewisse sehnsüchtige Wirkung auf den Betrachter zugewiesen. Dies spielt eine wichtige Rolle, denn am Ende eines langen kalten Winters wünscht man sich sehnsüchtig die Ankunft des Frühlings mit warmen, sonnigen Tagen. Insofern ist die Stellung dieses Verses am Anfang des Gedichtes klar dadurch begründet, dass die Sehnsucht am Anfang eines neuen Frühlings steht, ebenso wie die Ankunft der Vögel. Das lyrische Subjekt ist überwältigt von der Schönheit und äußert den Wunsch, der Natur nah zu sein, sie zu durchdringen, über sie zu gleiten um jedes Detail zu sehen. Es wünscht sich also „Flügel“(V.3) um „[ü]ber Berg und Wald“(V.4) zu fliegen. Denn, wenn man wahrer Schönheit begegnet, dann möchte man sie in ihrer Vollkommenheit genießen und dabei darf einem nichts entgehen. Die Wahrnehmung des Frühlings vollzieht sich hier sehr sinnlich und auch unmittelbar in dem Moment, des Geschehens. Als nächstes erfährt das Gedicht einen kurzen Rednerwechsel, denn aus dem vorherigen Monolog des lyrischen Ichs wird nun ein Dialog. Das lyrische Subjekt wird von dem Frühling angesprochen wobei der Ausdruckskraft eine Verstärkung widerfährt mit der Interjektion „Ach!“(V.5). Die Natur wird nun durch die Personifizierung leibhaftig gemacht und spricht mithilfe des Vogelgesanges in beschwörendem Ton zum lyrischen Ich. Wie die Sirenen in der griechischen Mythologie wird der lyrische Sprecher durch „Töne“ und auch durch „Farben“(V.7), welche gemeinsam eine Synästhesie bilden, dazu bewegt, sich voll und ganz der Natur hinzugeben.
Dann schließlich, nach einer kurzen Zäsur durch den Übergang zur nächsten Strophe, gelingt es der Natur letztendlich den lyrischen Sprecher zu überreden. Er spricht die sanfte Natur, hier dargestellt durch die zierlichen Vögel, die wieder mit dem Dimutiv „Vöglein“ betitelt werden, an und versichert ihnen mit dem „Zagen“ (V.9) aufzuhören, dies wird klar verstärkt durch die Elosion „lass' “ in dem Exklamativsatz „[...] ja, ich lass' das Zagen !“(V.9).
Damit liefert sich das lyrische Ich endgültig einem Auflösungsprozess aus, der im Verlaufe des Gedichtes beim Betrachten der Natur und beim Eintauchen in die Schönheit an Intensität zunimmt.
Durch die Hingabe zu der Natur begann der Prozess der Aufgabe der eigenen Identität und dieser Vorgang, stellt die Bedrohung dar, die dem lyrischen Ich entgegen steht. Die Bedrohung, des endgültigen Verlustes seiner Selbst in der Natur. Somit hat das gesamte positiv geschilderte Äußere der Natur einen bitteren und gefährlichen Nebeneffekt, den das lyrische Subjekt, durch mangelnde Reflektion über sein Handeln, nicht zu bemerken scheint. An dieser Stelle stellt sich mir die Frage, ob Eichendorff hier vor der vollkommenen Hingabe zur Natur warnt und ob dies der Kern seines Gedichtes ist, welches, anscheinend durch den fehlenden Titel, gerade auf mich so wirkt, als ob es die These des Gedichtes verstecken soll. Anschließend wird ein sprachliches Bild benutzt und dieses klingt nach der sogenannten „Ruhe vor dem Sturm“, denn auf diese kraftvolle Preisgebung seiner Selbst folgen „Winde [,die] sanft die Segel rühren“(V.10). Dies erzeugt ein Gefühl von Misstrauen und Erwartungen in mir und man fragt sich, ob der lyrische Sprecher diese eigenartige Stille nicht auch bemerkt. Aber im nächsten Vers wird klar, warum dies eben nicht der Fall ist, denn das lyrische Ich lässt sich „entführen“(V.11). An diesem Punkt möchte ich auf den zweiten Vers rückschließen , in dem die Passivität ausgedrückt wurde, dadurch dass es sich „verführen“ ließ und nun, da es sich so sehr in dem Bann befindet, sich „entführen“ lässt, was eine Aktivität bedeutet. Also vollzog sich im Verlauf des Gedichtes hier eine Wandlung und das ist der Beweis, dafür, dass sich das lyrische Subjekt vollkommen in der Schönheit der Natur verloren hat.
Schließlich fällt dem lyrischen Ich noch auf, dass es gar nicht weiß wohin ihn diese Reise führt, dass es nicht weiß auf was es sich hier eingelassen hat indem es fragt „Ach! wohin?“ (V.12), aber dieser Gedanke wird unverzüglich mit der Negation „mag ich nicht fragen.“(V.12) widerrufen.
Bleibt letztendlich die Frage offen, was passiert mit dem lyrischen Subjekt nun, da es vollkommen die eigene Identität in der Schönheit der Natur verloren hat und sich ohne zu fragen von ihr tragen lässt?
Eine vollkommen andere Sichtweise über den Frühling und seine Wirkung auf den Menschen wird von Bertolt Brecht geschildert.
In dem zweiten Gedicht “Über das Frühjahr” welches 1928 von Bertholt Brecht verfasst wurde und damit der Nachexpressionistischen Moderne zuzuordnen ist, wird die Natur von einem anderen Standpunkt aus betrachtet. Hierbei ist keine traditionelle Gedicht- und Reimform und auch kein regelmäßiges Metrum zu erkennen.
Das Gedicht besteht aus einer Strophe mit 22 Versen, die mit überwiegend Enjambements und dabei oft verwendetem Hakenstil gebunden ist. Die Zeitform wird von Brecht bewusst gewechselt um bestimmte Positionen zu symbolisieren von Präteritum über Futur und schließlich Präsens.
Verwendung findet hier eine sachliche, prosanahe Sprache und eine relativ einfache Syntax mit einfachen Sätzen und hypotaktischen Satzkonstruktionen.
Das lyrische Subjekt tritt auch hier direkt auf, diesmal aber als impliziertes lyrisches Ich, insofern, dass es sich als ein Teil der Menschheit darstellt.
Die Sprachliche Gestaltung dieses Gedichtes erinnert an eine Erzählung aus früheren Tagen, ist also sehr prosanah und besteht aus einer expositorischen Sprechweise. Dies unterstreicht der märchenähnliche Anfang des Gedichtes „Lange bevor“(V.1), welcher, durch seine alleinige Stellung im ersten Vers, meine Aufmerksamkeit weckte. Nun sollte klar sein, dass die folgende Situationsschilderung sich auf Vergangenes bezieht und genauso folgt es, zunächst in einer Einleitung von Vers zwei bis Vers vier. In den nächsten Versen ist vom „Wir“(V.2) die Rede, die Syntax ist in zwei Sinneinheiten geteilt, worauf ich beim Wechsel der Perspektiven noch zu sprechen kommen werde. Es wird eine Zeit beschrieben noch bevor die Menschen mit der zunehmenden Exploitation der Natur begonnen hatten und sich „auf Erdöl, Eisen und Ammoniak [stürzten]“(V.2). Somit wird schon die Kritik die hier an der Menschheit ausgeübt wird deutlich und wird verstärkt mithilfe des expressionistischen Verbs „stürzten“, welches im Prinzip die unerschöpfliche und grenzenlose Gier des Menschen darstellt, der noch nicht einmal vor seinen eigenen Wurzeln, der Natur, halt macht. In dieser Vergangenheit gab es „in jedem Jahr | [eine] Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume“(V.3f), also einen Frühling, dessen Schönheit hier sehr deutlich zum Ausdruck gebracht werden soll mithilfe von Verstärkungen wie „heftig“ und „unaufhaltsam“(V.4). Auffallend ist hierbei auch die Form, insofern, dass die zwei hervorgehobenen Aussagen in zwei besonders langen Versen stehen. Syntaktisch sind sie somit verbunden und es wird klar, dass in beiden Aspekte der Natur genannt werden, deren fortwährende Existenz, durch die Menschen, gefährdet wird. Das lyrische Ich verdeutlicht nun an Beispielen, wie „Wir alle“(V.5) im Sinne eigener Erinnerungen und, wie andere Menschen „lesen wir in Büchern“(V.10) den Frühling mit seiner Schönheit erlebt haben. An dieser Stelle wird eins klar, das hier existierende lyrische Subjekt ist gänzlich vom Frühling abgeschieden, wohingegen bei Eichendorff der lyrische Sprecher direkt in die Natur involviert ist und das gesamte Geschehen unmittelbar, direkt und sinnlich wahrnimmt.
Die Distanz zwischen Mensch und Natur, bei Brecht, wird durch die Irreversibilität des jetzigen Zustandes sehr deutlich, das bedeutet, egal was passiert, der geschilderte schöne Zustand der Vergangenheit ist unwiederbringlich verloren und das bringt eine gewisse Melancholie mit sich.
Es folgt also eine Aufzählung von Naturbildern und der Versicherung, dass der Frühling zu jener Zeit „gewiß“ kam, also das es keine Zweifel an der Ankunft des Frühlings gab.
Da stellt sich die Frage, ob es denn in dem momentanen Zustand des lyrischen Sprechers Zweifel gäbe.
Diese Frage wird direkt beantwortet, damit, dass der Frühling, mit seinen „Schwärmen der Vögel“(V.14) „schon lange Nicht mehr gesichtet worden [...]“(V.12f) sei. Es scheint also, dass der Frühling entweder verloren gegangen ist, sich verändert hat oder einfach nicht mehr sichtbar ist für die Menschen, weil sie sich verändert haben.
Ab diesem Punkt ändert sich die vorhin beschriebene Perspektive, insofern, dass nun die Rede vom „Volk“(V.16) ist, statt dem „Wir“. Dies bedeutet, dass der lyrische Sprecher sich im folgenden bewusst von dem Beschriebenen distanziert. Daraus ist möglicherweise eine pejorative Konnotation des „Volk[es]“ zu erschließen, da man oft, sobald man von etwas in negativer Weise redet und sich nicht miteinbezieht, kollektiviert. An dieser Stelle wird die Distanz vom Menschen zur Natur bildhaft dargestellt, denn die Menschen „sitzen[...] in Eisenbahnen“(V.15), scheinbar untätig und die Natur spielt sich mit „Stürmen“(V.20), „in großer Höhe“ (V.19) ab. Die einzige Berührung mit der Natur findet hier durch die „Antennen“ (V.22) auf den Dächern der Häuser mit dem darüber wütenden Sturm statt, wohingegen bei Eichendorff die Berührung mit der Natur viel intensiver und direkter abläuft. Die „Antennen“ symbolisieren hierbei die allgegenwärtige Informationsflut von Nachrichten, die das sinnliche Erleben der Natur unmöglich macht. Außerdem wird das Symbol der „Ebenen“ (V.17) benutzt, welches diese Distanz versinnbildlicht, da Ebenen immer Teil eines neuen Ganzen darstellen, das nicht mit dem alten in Berührung steht. Weiterhin sind hier die Veränderungen in der Natur zu betrachten, diese werden im ersten Gedicht unmittelbar und im zweiten nur noch beiläufig durch „Antennen“ wahrgenommen. Also ist die Verbindung zur Natur sehr instabil und gering vorhanden, denn Antennen sind sehr dünn und leicht zu verbiegen. Eher störend für die eigentlichen wichtigen Veränderungen ist dieser Wald dicht an dicht stehender Antennen, die ursprünglich den Zweck hatten eben so viele Informationen wie möglich kundzugeben. Ein weiteren Unterschied zwischen den beiden Gedichten bildet das lyrische Subjekt, welches bei Eichendorff aktiv auftritt und bei Brecht hingegen passiv über das Geschehen sieht.
Schließlich wird klar, dass beide Dichter hier deutlich Kritik an der Gesellschaft üben und der Unterschied besteht darin, dass Brecht seine Meinung direkt verlauten lässt, denn das lyrische Subjekt nimmt gänzlich die Rolle des Kritikers ein, wohingegen Eichendorff es dem Leser selbst überlässt die endgültigen Handlungen und Haltungen des lyrischen Ichs zu bewerten und somit eine indirekte Kritik, ein Appell, an das Einschätzungsvermögen des Menschen ausübt.
Wörter: 2015
Dem Gedicht von Joseph von Eichendorff wurde kein Titel zugewiesen, was schon bei erster Betrachtung keinen Bezug zum Inhalt des Gedichtes preisgibt. Die erste Zeile dient hierbei meist zur Bestimmung des Gedichtes. Bestehend aus drei Strophen mit jeweils vier Versen ist dieses Gedicht eindeutig als Lied klassifizierbar, die Gedichtform lässt auf die Zeit der Romantik zurückschließen. Gebunden ist der Text durch einen umarmenden Reim, darauf folgt ein Kreuzreim und schließlich wieder ein umarmender Reim. Außerdem wird ein vierhebiger Trochäus, Präsens und vorwiegend Zeilenstil verwendet. Eichendorff bedient sich hier einer einfachen Syntax mit einfachen Sätzen und parataktischen Satzkonstruktionen und einer bildhaften prosanahen Sprache.
Das lyrische Ich tritt direkt auf und befindet sich in der Natur an einem wundervollen Frühlingstag.
Eines der ersten Zeichen, welches uns den Frühling ankündigt, sind die Vögel, die aus dem warmen Süden wieder zu uns zurückkehren und genauso leiten in diesem Gedicht die „Vöglein“ (V.1), an dieser Stelle wird ein Dimutiv benutzt, um die spärlichen, zierlichen Vögel bildhaft darzustellen, das Gedicht ein. Als Folgeerscheinung auf die Vögel dienen die „sonn'gen Tage[...]“(V.1), denn das ist für gewöhnlich das Zweite, was auffällt, wenn sich der Frühling nähert. Jetzt wo klar geworden ist, dass sich die nächste Jahreszeit einstellt, weicht das Verlangen, oder die Appetenz nach dem Jahreszeitenwechsel einer enorm starken Freude und somit ist das lyrische Ich dem Frühling vollkommen verfangen. Daraufhin gibt er sich der Natur preis und lässt sich von den blauen „Lüfte[n]“ „verführen“(V.2), wobei zuerst die Verwendung der Farbe auffällt, den das Blau war in der Romantik ein Symbol für die Sehnsucht und auch nach der heutigen Farbenpyschologie wird der Farbe Blau eine gewisse sehnsüchtige Wirkung auf den Betrachter zugewiesen. Dies spielt eine wichtige Rolle, denn am Ende eines langen kalten Winters wünscht man sich sehnsüchtig die Ankunft des Frühlings mit warmen, sonnigen Tagen. Insofern ist die Stellung dieses Verses am Anfang des Gedichtes klar dadurch begründet, dass die Sehnsucht am Anfang eines neuen Frühlings steht, ebenso wie die Ankunft der Vögel. Das lyrische Subjekt ist überwältigt von der Schönheit und äußert den Wunsch, der Natur nah zu sein, sie zu durchdringen, über sie zu gleiten um jedes Detail zu sehen. Es wünscht sich also „Flügel“(V.3) um „[ü]ber Berg und Wald“(V.4) zu fliegen. Denn, wenn man wahrer Schönheit begegnet, dann möchte man sie in ihrer Vollkommenheit genießen und dabei darf einem nichts entgehen. Die Wahrnehmung des Frühlings vollzieht sich hier sehr sinnlich und auch unmittelbar in dem Moment, des Geschehens. Als nächstes erfährt das Gedicht einen kurzen Rednerwechsel, denn aus dem vorherigen Monolog des lyrischen Ichs wird nun ein Dialog. Das lyrische Subjekt wird von dem Frühling angesprochen wobei der Ausdruckskraft eine Verstärkung widerfährt mit der Interjektion „Ach!“(V.5). Die Natur wird nun durch die Personifizierung leibhaftig gemacht und spricht mithilfe des Vogelgesanges in beschwörendem Ton zum lyrischen Ich. Wie die Sirenen in der griechischen Mythologie wird der lyrische Sprecher durch „Töne“ und auch durch „Farben“(V.7), welche gemeinsam eine Synästhesie bilden, dazu bewegt, sich voll und ganz der Natur hinzugeben.
Dann schließlich, nach einer kurzen Zäsur durch den Übergang zur nächsten Strophe, gelingt es der Natur letztendlich den lyrischen Sprecher zu überreden. Er spricht die sanfte Natur, hier dargestellt durch die zierlichen Vögel, die wieder mit dem Dimutiv „Vöglein“ betitelt werden, an und versichert ihnen mit dem „Zagen“ (V.9) aufzuhören, dies wird klar verstärkt durch die Elosion „lass' “ in dem Exklamativsatz „[...] ja, ich lass' das Zagen !“(V.9).
Damit liefert sich das lyrische Ich endgültig einem Auflösungsprozess aus, der im Verlaufe des Gedichtes beim Betrachten der Natur und beim Eintauchen in die Schönheit an Intensität zunimmt.
Durch die Hingabe zu der Natur begann der Prozess der Aufgabe der eigenen Identität und dieser Vorgang, stellt die Bedrohung dar, die dem lyrischen Ich entgegen steht. Die Bedrohung, des endgültigen Verlustes seiner Selbst in der Natur. Somit hat das gesamte positiv geschilderte Äußere der Natur einen bitteren und gefährlichen Nebeneffekt, den das lyrische Subjekt, durch mangelnde Reflektion über sein Handeln, nicht zu bemerken scheint. An dieser Stelle stellt sich mir die Frage, ob Eichendorff hier vor der vollkommenen Hingabe zur Natur warnt und ob dies der Kern seines Gedichtes ist, welches, anscheinend durch den fehlenden Titel, gerade auf mich so wirkt, als ob es die These des Gedichtes verstecken soll. Anschließend wird ein sprachliches Bild benutzt und dieses klingt nach der sogenannten „Ruhe vor dem Sturm“, denn auf diese kraftvolle Preisgebung seiner Selbst folgen „Winde [,die] sanft die Segel rühren“(V.10). Dies erzeugt ein Gefühl von Misstrauen und Erwartungen in mir und man fragt sich, ob der lyrische Sprecher diese eigenartige Stille nicht auch bemerkt. Aber im nächsten Vers wird klar, warum dies eben nicht der Fall ist, denn das lyrische Ich lässt sich „entführen“(V.11). An diesem Punkt möchte ich auf den zweiten Vers rückschließen , in dem die Passivität ausgedrückt wurde, dadurch dass es sich „verführen“ ließ und nun, da es sich so sehr in dem Bann befindet, sich „entführen“ lässt, was eine Aktivität bedeutet. Also vollzog sich im Verlauf des Gedichtes hier eine Wandlung und das ist der Beweis, dafür, dass sich das lyrische Subjekt vollkommen in der Schönheit der Natur verloren hat.
Schließlich fällt dem lyrischen Ich noch auf, dass es gar nicht weiß wohin ihn diese Reise führt, dass es nicht weiß auf was es sich hier eingelassen hat indem es fragt „Ach! wohin?“ (V.12), aber dieser Gedanke wird unverzüglich mit der Negation „mag ich nicht fragen.“(V.12) widerrufen.
Bleibt letztendlich die Frage offen, was passiert mit dem lyrischen Subjekt nun, da es vollkommen die eigene Identität in der Schönheit der Natur verloren hat und sich ohne zu fragen von ihr tragen lässt?
Eine vollkommen andere Sichtweise über den Frühling und seine Wirkung auf den Menschen wird von Bertolt Brecht geschildert.
In dem zweiten Gedicht “Über das Frühjahr” welches 1928 von Bertholt Brecht verfasst wurde und damit der Nachexpressionistischen Moderne zuzuordnen ist, wird die Natur von einem anderen Standpunkt aus betrachtet. Hierbei ist keine traditionelle Gedicht- und Reimform und auch kein regelmäßiges Metrum zu erkennen.
Das Gedicht besteht aus einer Strophe mit 22 Versen, die mit überwiegend Enjambements und dabei oft verwendetem Hakenstil gebunden ist. Die Zeitform wird von Brecht bewusst gewechselt um bestimmte Positionen zu symbolisieren von Präteritum über Futur und schließlich Präsens.
Verwendung findet hier eine sachliche, prosanahe Sprache und eine relativ einfache Syntax mit einfachen Sätzen und hypotaktischen Satzkonstruktionen.
Das lyrische Subjekt tritt auch hier direkt auf, diesmal aber als impliziertes lyrisches Ich, insofern, dass es sich als ein Teil der Menschheit darstellt.
Die Sprachliche Gestaltung dieses Gedichtes erinnert an eine Erzählung aus früheren Tagen, ist also sehr prosanah und besteht aus einer expositorischen Sprechweise. Dies unterstreicht der märchenähnliche Anfang des Gedichtes „Lange bevor“(V.1), welcher, durch seine alleinige Stellung im ersten Vers, meine Aufmerksamkeit weckte. Nun sollte klar sein, dass die folgende Situationsschilderung sich auf Vergangenes bezieht und genauso folgt es, zunächst in einer Einleitung von Vers zwei bis Vers vier. In den nächsten Versen ist vom „Wir“(V.2) die Rede, die Syntax ist in zwei Sinneinheiten geteilt, worauf ich beim Wechsel der Perspektiven noch zu sprechen kommen werde. Es wird eine Zeit beschrieben noch bevor die Menschen mit der zunehmenden Exploitation der Natur begonnen hatten und sich „auf Erdöl, Eisen und Ammoniak [stürzten]“(V.2). Somit wird schon die Kritik die hier an der Menschheit ausgeübt wird deutlich und wird verstärkt mithilfe des expressionistischen Verbs „stürzten“, welches im Prinzip die unerschöpfliche und grenzenlose Gier des Menschen darstellt, der noch nicht einmal vor seinen eigenen Wurzeln, der Natur, halt macht. In dieser Vergangenheit gab es „in jedem Jahr | [eine] Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume“(V.3f), also einen Frühling, dessen Schönheit hier sehr deutlich zum Ausdruck gebracht werden soll mithilfe von Verstärkungen wie „heftig“ und „unaufhaltsam“(V.4). Auffallend ist hierbei auch die Form, insofern, dass die zwei hervorgehobenen Aussagen in zwei besonders langen Versen stehen. Syntaktisch sind sie somit verbunden und es wird klar, dass in beiden Aspekte der Natur genannt werden, deren fortwährende Existenz, durch die Menschen, gefährdet wird. Das lyrische Ich verdeutlicht nun an Beispielen, wie „Wir alle“(V.5) im Sinne eigener Erinnerungen und, wie andere Menschen „lesen wir in Büchern“(V.10) den Frühling mit seiner Schönheit erlebt haben. An dieser Stelle wird eins klar, das hier existierende lyrische Subjekt ist gänzlich vom Frühling abgeschieden, wohingegen bei Eichendorff der lyrische Sprecher direkt in die Natur involviert ist und das gesamte Geschehen unmittelbar, direkt und sinnlich wahrnimmt.
Die Distanz zwischen Mensch und Natur, bei Brecht, wird durch die Irreversibilität des jetzigen Zustandes sehr deutlich, das bedeutet, egal was passiert, der geschilderte schöne Zustand der Vergangenheit ist unwiederbringlich verloren und das bringt eine gewisse Melancholie mit sich.
Es folgt also eine Aufzählung von Naturbildern und der Versicherung, dass der Frühling zu jener Zeit „gewiß“ kam, also das es keine Zweifel an der Ankunft des Frühlings gab.
Da stellt sich die Frage, ob es denn in dem momentanen Zustand des lyrischen Sprechers Zweifel gäbe.
Diese Frage wird direkt beantwortet, damit, dass der Frühling, mit seinen „Schwärmen der Vögel“(V.14) „schon lange Nicht mehr gesichtet worden [...]“(V.12f) sei. Es scheint also, dass der Frühling entweder verloren gegangen ist, sich verändert hat oder einfach nicht mehr sichtbar ist für die Menschen, weil sie sich verändert haben.
Ab diesem Punkt ändert sich die vorhin beschriebene Perspektive, insofern, dass nun die Rede vom „Volk“(V.16) ist, statt dem „Wir“. Dies bedeutet, dass der lyrische Sprecher sich im folgenden bewusst von dem Beschriebenen distanziert. Daraus ist möglicherweise eine pejorative Konnotation des „Volk[es]“ zu erschließen, da man oft, sobald man von etwas in negativer Weise redet und sich nicht miteinbezieht, kollektiviert. An dieser Stelle wird die Distanz vom Menschen zur Natur bildhaft dargestellt, denn die Menschen „sitzen[...] in Eisenbahnen“(V.15), scheinbar untätig und die Natur spielt sich mit „Stürmen“(V.20), „in großer Höhe“ (V.19) ab. Die einzige Berührung mit der Natur findet hier durch die „Antennen“ (V.22) auf den Dächern der Häuser mit dem darüber wütenden Sturm statt, wohingegen bei Eichendorff die Berührung mit der Natur viel intensiver und direkter abläuft. Die „Antennen“ symbolisieren hierbei die allgegenwärtige Informationsflut von Nachrichten, die das sinnliche Erleben der Natur unmöglich macht. Außerdem wird das Symbol der „Ebenen“ (V.17) benutzt, welches diese Distanz versinnbildlicht, da Ebenen immer Teil eines neuen Ganzen darstellen, das nicht mit dem alten in Berührung steht. Weiterhin sind hier die Veränderungen in der Natur zu betrachten, diese werden im ersten Gedicht unmittelbar und im zweiten nur noch beiläufig durch „Antennen“ wahrgenommen. Also ist die Verbindung zur Natur sehr instabil und gering vorhanden, denn Antennen sind sehr dünn und leicht zu verbiegen. Eher störend für die eigentlichen wichtigen Veränderungen ist dieser Wald dicht an dicht stehender Antennen, die ursprünglich den Zweck hatten eben so viele Informationen wie möglich kundzugeben. Ein weiteren Unterschied zwischen den beiden Gedichten bildet das lyrische Subjekt, welches bei Eichendorff aktiv auftritt und bei Brecht hingegen passiv über das Geschehen sieht.
Schließlich wird klar, dass beide Dichter hier deutlich Kritik an der Gesellschaft üben und der Unterschied besteht darin, dass Brecht seine Meinung direkt verlauten lässt, denn das lyrische Subjekt nimmt gänzlich die Rolle des Kritikers ein, wohingegen Eichendorff es dem Leser selbst überlässt die endgültigen Handlungen und Haltungen des lyrischen Ichs zu bewerten und somit eine indirekte Kritik, ein Appell, an das Einschätzungsvermögen des Menschen ausübt.
Wörter: 2015
Max Kiefner
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